Ein Impuls aus christlicher Sicht in Zeiten der Krise – Die Zeit hat ein Geheimnis.

Die Tageslosung zum 12. Mai 2020 – Ein „Impülschen“ von dem Dudweiler Pfarrer Heiko Poersch

Die Losung für heute steht im 1. Königebuch, Kapitel 3, 5.9:

„Der HERR sprach zu Salomo: Bitte, was ich dir geben soll! Salomo sprach: Du wollest deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, dass er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist.“

Und Paulus schreibt an die Philipper, Kapitel 1, 9+10:

“Ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung, sodass ihr prüfen könnt, was das Beste sei.2

Drei Stichworte springen mich bei diesen Worten an: 1. Das Herz als Ort der Erkenntnis (2) und der  Erfahrung (3). Immer wieder höre ich in Gesprächen, dass viele Menschen die zwanghaft auferlegte Unterbrechung, die sich die uns vertraute Welt wegen Corona auferlegt hat, auch als Chance verstehen. Man ist gezwungen den eigenen Alltag und die vielen Rädchen in den man selber steckt und an denen wir i.d.R. gerne auch selber munter mitdrehen, noch einmal zu hinterfragen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, nur ohne den Anstoß von außen hätten es die meisten wahrscheinlich nicht getan.

Religiöse Kontemplation entspringt genau dieser Erkenntnis, für die der Theologe Jörg Zink (in: Die goldene Schnur, 1999, Stuttgart) noch einmal beispielhaft erwähnt sei. Er schreibt:

„Die Zeit ist kein Kalender zum Abreißen, sondern ein Fluss, eine Wellenbewegung. Wer im Meer schwimmt, hält sich mühelos lange Zeit, wenn es ihm gelingt, sich dem Rhythmus der Wellen einzufügen, und er wird nach kurzer Zeit am Ende seiner Kraft sein, wenn ihm dies nicht gelingt. Suche also nach dem Rhythmus deiner Zeit, der dir am meisten Freiheit gibt für Zeiten der Stille, und halte ihn möglichst konsequent ein. Wenn die Bibel sagt: Alles hat seine Zeit, und alles Tun unter dem Himmel hat seine Stunde, dann meint sie, es gebe eine Zeit, die sich für eine Tätigkeit fügt, in der ein Tun seinen Sinn findet.

Wenn du keinen sinnvollen Rhythmus findest, wird auch ein langer Urlaub nach langen Monaten pausenlosen Gedränges dir keine Erholung bringen. Dein Sonntag, soweit er nicht selbst durch Hetze und Überforderung bestimmt ist, ist überfordert, wenn er lebendig machen soll, was eine Woche gestaltlosen Treibens in dir verödet hat.

Die Zeit hat ein Geheimnis. Das ist der Augenblick. Im jetzt gegenwärtigen Augenblick wirst du bemerken, ob der Rhythmus, in dem du lebst, sich durchgehalten hat. Denn die wirkliche Erfahrung, auch die religiöse, geschieht immer im jetzt gegenwärtigen Augenblick, und in ihm musst du gegenwärtig sein. Es gibt ihn eigentlich gar nicht, und doch ist er das Einzige, das uns von unserer Zeit zur Verfügung steht.“

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