“Fernseher ausschalten, raus gehen und sich selbst ein Bild machen” – junge Dudweilerin über ihre Erfahrung in der Flüchtlingsunterkunft

Veronica inmitten von Flüchtlingskindern in Lebach (Foto: privat)
Veronica inmitten von Flüchtlingskindern in Lebach (Foto: privat)
Veronica inmitten von Flüchtlingskindern in Lebach (Foto: privat)

Nie zuvor wurde auf unserer Facebookseite so viel und so kontrovers diskutiert, wie über die geplante Flüchtlingsunterkunft an der Hirschbach. Die Diskussion zeigte: Es herrschen diffuse Ängste und Hoffnungen in Anbetracht dessen, was auf Dudweiler zukommt. Deshalb haben wir zwei Erfahrungsberichte von Menschen, die regelmäßig in Lebach, der bislang einzigen Aufnahmestelle im Saarland, im Einsatz waren: Einmal die Eindrücke unseres Innenministers Klaus Bouillon, der mehrere Woche sein Büro auf dem Gelände hatte, und die Erfahrungen von Veronica, einer jungen Frau aus Dudweiler, die viele Nachmittage in Lebach verbracht hat.

Mein Name ist Veronica, ich bin 26 Jahre alt. Bei meiner Arbeit als Tanzlehrerin habe ich viel mit Menschen zu tun. Verbreite Freude und Spaß in der Freizeit Anderer. Zu Hause aber habe ich in den vergangenen drei Monaten oft gelitten, wenn ich mir die Bilder in den Nachrichten von denen anschaute, die viel größere Probleme haben, als ihre spaßige Freizeit zu planen. Meine Empathie hat mich irgendwann überwältigt, sodass ich mich spontan auf den Weg nach Lebach gemacht habe, in der Hoffnung, einfach irgendwie helfen zu können.

Erste Schritte

Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Vielleicht sind die Helfer unfreundlich, weil sie überfordert sind, vielleicht gibt es Krawalle, vielleicht werde ich komisch angeschaut.
Die erste Adresse, die ich finden konnte, führte mich zur Sporthalle, wo die Kleiderspenden angenommen und sortiert werden. „Schön, dass du da bist“, sagte der pensionierte Lehrer, der auch als Helfer vor Ort war und mich bis dato nicht kannte. Auch einige junge Männer, die nach Flüchtlingen aussahen, halfen gerade die schweren Spendensäcke rein zu tragen. Nett lächelnd sagten sie „Hallo“ und schufteten weiter. Ich krempelte also die Ärmel hoch und packte mit an. Nach kurzer Einweisung in die Struktur der Halle, gehörte ich schnell zum Team.

Als ich draußen bei einer neu ankommenden Lieferung von Spenden helfen wollte, sah ich auf der Wiese fünf Kinder. Keine deutschen Kinder. Ein Mädchen fiel gerade zu Boden, zwei Jungs rannten weg, ein Haufen Spielsachen war auf der Wiese verteilt… Ich eilte dazu und konnte mit lautem Rufen die Jungs dazu bewegen, zurück zu kommen. Weil die Kinder wussten, dass hier auch Spielsachen abgegeben werden, hatten sie die Hoffnung, sie könnten sich etwas Hübsches mitnehmen. Ohne Schuhe, kaputte Kleidung und schmutzig, das Mädchen weinend, standen sie vor mir und wollten sich rechtfertigen. Zunächst ließen sie sich nur schwer beruhigen, bis ich sie in den Arm nahm und sagte: „Wir machen das gemeinsam“. Stille. Ein Junge sagte: „Ok“. Gemeinsam haben wir überlegt, wie wir gerecht vorgehen, und zum Schluss war aufgeräumt und auch klar, dass das mit dem „einfach wegnehmen“  nicht geht. Am Ende hatte ich lächelnde Gesichter, die sich herzlich von mir verabschiedeten.

Es ist eben doch ein großer Unterschied, die Bilder im Fernsehen zu sehen oder live mittendrin zu stehen.

Nach einiger Zeit wies mich der Herr Ex-Lehrer darauf hin, dass er mich zum „Meldekopf“ begleiten würde, damit ich mich registrieren kann. Dazu mussten wir einmal quer durch das Lager laufen.
Mit jedem Schritt wurde mir bewusst, dass ich bisher nur außerhalb des eigentlichen Geschehens war. Es ist eben doch ein großer Unterschied, die Bilder im Fernsehen zu sehen oder live mittendrin zu stehen. Mein Blick wanderte in eines der notdürftig aufgestellten Zelte. Eng aneinander stehende Feldbetten, müde, ausgelaugte Menschen darauf. Ihr Hab und Gut in einer Tüte neben sich stehend. Egal wer mir entgegen kam, alle grüßten freundlich. Junge Männer, Kinder, Frauen. Ich hatte fast das Gefühl, in jedem „Hallo“ steckte auch ein „Danke“.

Die Kinder

In den kommenden Tagen war ich als angemeldete Helferin fast jeden Tag vor Ort, habe Kontakt zu den Helfern am Kinderzelt aufgebaut und mich dort miteingebracht. Unter anderem auch mit Tanzanimationen für die Kinder. Draußen auf der Wiese stand uns eine große Bühne zur Verfügung. Mit ein paar jungen Flüchtlingen und mit Hilfe des diakonischen Werks organisierten wir einen CD-Player und hatten von Tag zu Tag mehr Spaß an den Tänzen, die wir uns gemeinsam erarbeiteten. Mittels deutscher Kinderlieder lernten die Kinder die Körperteile und die Zahlen in deutscher Sprache. „Vier Schritte vorwärts!“ die Kinder lautstark: „Eins, Zwei, Drei, Vier!“ Es war wunderbar, das Strahlen in ihren Augen zu sehen! Ich bin sicher, dass in diesen Momenten ihre vielen Strapazen ganz weit weg waren.

Sehr schnell wird man als Helfer als “Held” gefeiert. Jeder möchte ein Foto machen. Das war nicht immer einfach!

Sehr schnell wird man als Helfer von den Kindern und auch deren Eltern als „Held“ gefeiert. Jeder möchte ein Foto mit mir machen, der Andrang ist groß… Und das war in der Tat nicht immer einfach!
Was passiert, wenn man umringt von Kindern ist und von einem unwissenden Menschen, der es sicher gut gemeint hat, eine Tüte mit Süßigkeiten in die Hand gedrückt bekommt? Richtig: Chaos! Ich bin nun wirklich keine kleine Person und trotzdem haben meine Arme nicht weit genug nach oben gereicht, um die an mir rauf kletternden Kinder davon abzuhalten, an die Tüte zu gelangen. Wenn man dann zu Boden fällt, am besten Arme über den Kopf und nicht bewegen… Das war zunächst natürlich keine so schöne Erfahrung. Aber darüber zu meckern und sich zu beschweren hätte keine Lösung gebracht. Die Kinder sind aus ihrer jüngsten Vergangenheit gewohnt: Wenn ich schnell und stark bin, bekomme ich etwas ab. Wenn nicht, geh ich leer aus. Es ist ihnen nicht zu verübeln und doch galt es hier natürlich, Disziplin anzuerziehen. In der nächsten, ähnlichen Situation haben wir alle Kinder in einem großen Kreis auf den Boden gesetzt. Wer saß, bekam etwas, wer nicht saß, nicht! Und siehe da, Problem gelöst.

Hier gilt es, genau wie mit den Erwachsenen, das Problem zu erkennen, zu verstehen, Vertrauen aufzubauen und daran zu arbeiten. Dann braucht man auch keine Angst mehr zu haben. Und teilweise darf man natürlich auch nicht erwarten, dass es mit einem Mal getan ist. Wir leben hier eine völlig andere Kultur. Uns würde es dort nicht anders ergehen. Lehren und Lernen statt verstecken und Augen verschließen!

Die jungen Männer

Maher hieß der junge Mann, der mir seit einer Feier im Camp nicht mehr von der Seite wich. Wir verständigten uns ausschließlich auf  Englisch. Er war Web-Designer in Syrien, wodurch er die englische Sprache natürlich beherrschte. Deutsch wollte er sehr gerne schnellstmöglich lernen, noch konnte er aber kein Wort.

Er unterstützte mich wo er nur konnte, wir hatten interessante Gespräche. Er konnte für die Kinder ins Arabische übersetzen und half mir bei der Organisation. Eines Tages schrieb er mir per Facebook, dass er nun eine Wohnung in Neunkirchen bekommen habe, leider nicht mehr im Camp ist, und dass er mich sehr vermissen wird.

Natürlich erntet man viele Blicke als junge Frau in dieser Atmosphäre. Aber die Blicke verändern sich, sobald man Kontakte zu den Menschen aufgebaut hat. Meiner Meinung nach ist genau das der Schlüssel, um Ängste in der Bevölkerung abzubauen. Der direkte Kontakt.

Er war auch nicht der einzige junge Mann, der meine Nähe gesucht hat. Ich schätze, ich habe ca. 200 Fotos mit jungen Männern gemacht, die begeistert von unserem Engagement waren. Aber mehr als ein Foto – meist schüchternd bittend – hat keiner gewollt, geschweige denn gefordert! Ich gebe zu, teilweise ist es ein komisches Gefühl, inmitten so vieler junger Männern verschiedenster Nationalitäten zu stehen, und ich habe in solchen Momenten auch nicht ausgeschlossen, dass mich jemand berührt. Schließlich ist man aus den Saarbrücker Discotheken als junge Frau auch nichts anderes gewohnt. Und siehe da, genau diese Respektlosigkeit wurde mir hier bis heute erspart! Natürlich erntet man viele Blicke als junge Frau in dieser Atmosphäre, das streite ich nicht ab. Aber die Blicke verändern sich, sobald man Kontakte zu den Menschen aufgebaut hat. Meiner Meinung nach ist genau das der Schlüssel, um Ängste in der Bevölkerung abzubauen. Der direkte Kontakt. Jede Konversation bringt ein Stück Integration und diese wiederrum hält die Menschen fern von interkultureller Gruppenbildung gegen unser deutsches System.

Es war die beste Entscheidung, dass ich diesen Schritt dorthin gemacht habe.

Bis heute bin ich in meiner Freizeit in Lebach. Um Kontakte zu pflegen, neue Kontakte aufzubauen, mit den mir bekannten Familien einen Tee zu trinken, musikalisch aktiv zu sein und sogar um Deutschkurse zu geben. Es war die beste Entscheidung, dass ich diesen Schritt dorthin gemacht habe. In kürzester Zeit kann man sich, völlig unabhängig der offiziellen Medien, ein Bild machen, wahnsinnig viele Erfahrungen sammeln, sich selbst etwas besser kennenlernen und dabei auch noch Gutes für andere tun. Ich würde mir sehr wünschen, dass der Ein oder Andere meiner Vorgehensweise folgt. Auch ich musste natürlich berufsbedingt etwas mit meinem Engagement zurücktreten. Niemand soll sein bisheriges Leben aufgeben müssen, weil es Zuwanderer gibt. Aber bevor man nur hört, was Ängste schürt: lieber den Fernseher ausschalten, raus gehen und sich selbst ein Bild machen. Das wird vieles verändern.

Lieber den Fernseher ausschalten, raus gehen und sich selbst ein Bild machen.

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4 Thoughts to ““Fernseher ausschalten, raus gehen und sich selbst ein Bild machen” – junge Dudweilerin über ihre Erfahrung in der Flüchtlingsunterkunft”

  1. Gabriele Ungers

    Danke für diesen opjektiven Bericht. Diese Erfahrung kann auch in Dudweiler gemacht werden. Die jungen Männer in der Albertstrasse sind auch für jede Hilfe dankbar.

  2. An die junge Dame aus Dudweiler: Bitte melde Dich doch mal, ich hätte mich gerne mal persönlich mit Dir unterhalten – ich war nämlich selbst einige Tage in Lebach und teile die Sicht der Dinge grundlegend – hab auch einige eigene Überlegungen.

  3. einfach grossartig, so ähnlich gings mir auch, als ich in Lebach war! ganz toll – bitte teilen!!! DANKE und liebe Grüße, Eva

  4. Meinereiner

    das is ja net zu fassen. von euch war doch in wirklichkeit keiner in lebach. sich dann noch mit “ganz toll” hier zu präsentiern ist dann aber der gipfel.

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